Vermindert eine regelmäßige Zufuhr von Cranberry-Saft Blasenentzündungen?
Fragen, die in diesem Beitrag beantwortet werden:
- Welche Patienten profitieren von einer Cranberry-Einnahme?
- Cranberry-Saft oder -Kapseln – welche Zubereitungsform ist wirksamer?
- Welche Dosierung von Cranberry wird zur Prävention von Harnwegsinfekten empfohlen?
- Können Kinder mit wiederkehrenden Harnwegsinfektionen mit Cranberry-Saft behandelt werden?
- Ist eine vorbeugende Behandlung mit Cranberry ähnlich gut wirksam wie eine Antibiotika-Therapie?
Hintergrund
Die Verwendung von Cranberry hat einen festen Platz in der naturheilkundlichen Behandlung von Harnwegsinfektionen. Cranberry in Form von Saft oder Pflanzenextrakten als Kapseln oder Tabletten finden Anwendung bei Patientinnen mit häufig wiederkehrenden Infektionen der Harnwege. Cranberry ist nicht geeignet zur Behandlung einer akuten Harnwegsinfektion. Bisherigen Erfahrungen zufolge kann die regelmäßige Einnahme von Cranberry die Häufigkeit von Harnwegsinfekten bei Personen, die in der Vergangenheit schon häufig von einer Blasenentzündung betroffen waren, vermindern.Cranberry
Cranberry ist eine Pflanzenart aus der Gattung der Heidelbeeren (Vaccinium) in der Familie der Heidekrautgewächse (Ericaceae). Cranberry werden in Deutschland auch als Kranbeere oder Moosbeere (Vaccinium macrocarpon) bezeichnet. Viel geläufiger ist jedoch die englische Bezeichnung Cranberry.Harnwegsinfektion
Mehr als die Hälfte aller Frauen macht in ihrem Leben mindestens einmal einen Harnwegsinfekt durch. Der hohe Anteil an Frauen hat eine anatomische Ursache – die im Vergleich zu Männern kürzere Harnröhre in unmittelbarer Nähe zur Analregion. Während bei jüngeren Männern Harnwegsinfekte relativ selten auftreten, erhöht sich das Erkrankungsrisiko mit steigendem Alter auch bei Männern.Wenn von einem unkomplizierten Harnwegsinfekt gesprochen wird, ist in der Regel eine akute Zystitis oder Blasenentzündung (untere Harnwegsinfektion) gemeint. Die Betroffenen leiden häufig an Schmerzen beim Wasserlassen (Dysurie), einem starken Harndrang, der zu häufigem Wasserlassen mit oft nur kleinen Urinmengen (Pollakisurie) führt.
Eine Blasenentzündung bei Frauen verläuft meist unkompliziert. In Placebo-kontrollierten Studien konnten spontane Heilungsraten von 25 bis 42 Prozent nachgewiesen werden. Das heißt, ein Teil der Fälle heilt auch ohne eine medikamentöse Therapie vollständig aus. Studien zeigen jedoch, dass unter einer Behandlung mit Antibiotika signifikant bessere Heilungsraten erzielt wurden.
Die meisten unkomplizierten Harnwegsinfekte werden von Escherichia coli (E. coli), einem gramnegativen Stäbchenbakterium aus der Darmflora, hervorgerufen und betreffen rund 80 Prozent der ambulanten Patienten.
Obwohl pflanzliche Therapeutika, wie Cranberry, in der alltäglichen Praxis eine wichtige Rolle spielen, werden sie in den Leitlinien der deutschen Fachgesellschaften (Gesellschaft für Urologie) nicht explizit empfohlen.
Von einer rezidivierenden (wiederkehrenden) Harnwegsinfektion wird gesprochen, wenn sich innerhalb eines Jahres 3 oder mehr Infektionen ereignen. Etwa 20 bis 30 der Frauen mit Harnwegserkrankungen haben wiederkehrende Infektionen.
Wirkmechanismus von Cranberry bei Harnwegsinfektionen
Als möglicherweise wirksamkeitsbestimmende Inhaltsstoffe von Cranberry-Zubereitungen werden Proanthocyanidine angesehen. Obwohl der genaue Wirkmechanismus der Prophylaxe von Harnwegsinfektionen durch Cranberry noch nicht abschließend geklärt ist, gibt es Hinweise, dass Proanthocyanidine das Anhaften von Bakterien, insbesondere E. coli, an der Blasenwand verhindern und damit deren Vermehrung hemmen.Studien zur Wirksamkeit
In den vergangenen Jahren wurden zwei Metaanalysen zur Wirksamkeit von Cranberry bei rezidivierenden Harnwegsinfektionen veröffentlicht. Obwohl diese Untersuchungen im gleichen Jahr veröffentlicht wurden, kommen sie in ihrem Fazit zu einer gegensätzlichen Bewertung.In einer Übersichtsarbeit von Wang und Mitarbeitern wurden im Jahr 2012 insgesamt 13 kontrollierte Studien mit zusammen 1616 meist weiblichen Patienten hinsichtlich der Wirksamkeit von Cranberry zur Prophylaxe von Harnwegsinfektionen analysiert (7). Wesentliches Ergebnis war ein um 38 Prozent vermindertes Risiko einer Harnwegsinfektion unter der Anwendung von Cranberry-Produkten. In einer Subgruppenanalyse zeigten sich Hinweise für eine bessere Wirksamkeit von Cranberry-Saft im Vergleich zu Cranberry-Tabletten bzw. -Kapseln. Auch war die mehr als zweimal tägliche Einnahme von Cranberry anderen Dosierungsschemata überlegen (7).
Cochrane- Review aus dem Jahr 2012 (4):
Diese Metaanalyse umfasst 24 Studien mit insgesamt 4473 Teilnehmern. Zehn Studien waren bereits in einer vorausgehenden Metaanalyse (2008) enthalten, 14 weitere Studien wurden zu diesem Update hinzugefügt.
Ergebnisse: Es zeigte sich ein geringer Trend zu weniger symptomatischen Harnwegsinfekten bei Personen, die Cranberry-Produkte anwendeten. Im Vergleich zu Placebo oder alternativen Behandlungen konnte die Cranberry-Einnahme jedoch die Häufigkeit von Infektionen nicht signifikant verringern. Der deutlichste Effekt zugunsten von Cranberry wurde in zwei Studien bei Kindern beobachtet, aber auch diese Unterschiede erreichten keine statistische Signifikanz. Diese Analyse verdeutlichte auch, dass viele Patienten die Cranberry-Produkte nur unzuverlässig angewendet hatten. Entsprechend wurde in vielen Studien mit Cranberry-Saft über eine niedrige Therapieadhärenz, die der geringen Schmackhaftigkeit des Cranberry-Safts zugeschrieben wurde, berichtet.
Dieser Cochrane Review aus dem Jahr 2012 kommt zu dem Schluss, dass für die prophylaktische Anwendung von Cranberry bei Frauen mit häufig wiederkehrenden Harnwegsinfekten kein signifikanter Vorteil gegenüber Placebo nachweisbar ist (4).
Cranberry im Vergleich zur Antibiotika-Anwendung
In einer Doppelblindstudie an 221 Frauen mit rezidivierenden Harnwegsinfekten wurde geprüft, ob die Anwendung von 2x täglich 500 mg Cranberry-Extrakt in Kapseln über 12 Monate eine vergleichbare Wirkung aufweist wie eine tägliche Antibiotika-Gabe (480 mg Trimethoprim/Sulfamethoxazol). Die Ergebnisse belegen eine bessere Wirksamkeit der Antibiotika-Gabe: Nach 12 Monaten Behandlung lag die durchschnittliche Zahl der symptomatischen Harnwegsinfektionen in der Cranberry-Gruppe mit 4,0 signifikant höher als unter der Antibiotika-Gabe (1,8). Die durchschnittliche Zeit bis zur ersten Blasenentzündung lag unter der Cranberry-Einnahme bei 4 Monaten, während unter der Antibiotika-Gabe 8 Monate bis zur ersten Infektion vergingen (2).Anwendung von Cranberry bei Kindern mit Harnwegsinfekten
In einer Placebo-kontrollierten Untersuchung in Finnland wurden 263 Kinder mit wiederholten Harnwegsinfektionen für 6 Monate entweder mit Cranberry-Saft oder Placebo behandelt (5).Ergebnisse: Zwanzig Kinder (16 %) in der Cranberry-Gruppe und 28 (22 %) in der Placebo-Gruppe hatten mindestens eine erneute Harnwegsinfektion im Beobachtungszeitraum. Dieser Unterschied war statistisch nicht signifikant. Auch die Zeit bis zum Auftreten der ersten Harnwegsinfektion war nicht signifikant verschieden zwischen den Behandlungsgruppen. Die Gesamtzahl der Harnwegsinfektionen lag in der Placebogruppe bei 47, während unter der Cranberry-Behandlung 27 Kinder erkrankten. Eine antibiotische Behandlung war bei den mit Cranberry behandelten Kindern signifikant seltener notwendig. Die Studienautoren schlussfolgerten dementsprechend: Obwohl die Zahl der Kinder, die einen Harnwegsinfekt erlitten nicht signifikant vermindert werden konnte, so sank doch die Gesamtzahl der Infektionen und der Antibiotika-Gebrauch unter der Cranberry-Anwendung (5).
In einer weiteren Untersuchung von 40 Kindern mit mindestens zwei vorausgehenden Harnwegsinfektionen wurden untersucht, ob ein besonders Proanthocyanidin-haltiger Cranberry-Saft die Häufigkeit von Harnwegsinfektionen vermindert. Am Ende der 12-monatigen Studienphase konnte eine 65-prozentige Abnahme des Risikos einer Harnwegsinfektion im Vergleich zur Kontrollgruppe dokumentiert werden (1).
Harnwegsinfektionen infolge von Geschlechtsverkehr
Eine neuere Studie hat die Wirksamkeit von Cranberry-Extrakt auf eine Harnwegsinfektion infolge von Geschlechtsverkehr untersucht (6). Es ist bekannt, dass bei bestimmten Frauen eine Harnwegsinfektion häufig als Folge eines Geschlechtsverkehrs entwickelt. In dieser relativ kleinen Studie wurden 20 Frauen über einen Zeitraum von 6 Monaten mit einem Cranberry-Extrakt (Cysticlean) behandelt. Im Vergleich zum Ausgangswert hatte sich in den letzten 3 Monaten der Behandlung mit dem Cranberry-Extrakt die Häufigkeit von Harnwegsinfektionen signifikant vermindert. Dieses Ergebnis kann allerdings nur als Hinweis auf eine mögliche Wirksamkeit gedeutet werden, weil eine Kontrollgruppe (Placebogruppe) in dieser Studie fehlte (6).Dosierung
In einer Studie an 298 Altenheimbewohnern wurde geprüft, welche Cranberry-Dosis die Keimzahl von E. coli im Urin (Bakteriurie) besonders vermindert. Als Kenngröße für die Cranberry-Dosierung wurde der Proanthocyanidin-Gehalt zugrunde gelegt. Eine Verminderung der Bakteriurie nach 4 Wochen Behandlung mit Cranberry-Kapseln wurde mit einer Proanthocyanidin-Dosis von 72 mg erreicht. Dies entspricht in etwa einer täglichen Menge von 600 ml Cranberry-Saft (3).Diskussion
Derzeit gibt es in der Literatur keinen klaren Konsens über die Wirkung von Cranberry-Produkten in Form von Saft oder Kapseln zur Vorbeugung von Harnwegsinfektionen. Obwohl die Mehrzahl (7/11 = 63,7 %) der Studien, die in einer Übersichtsarbeit ausgewertet wurden, auf einen positiven Effekt von Cranberry-Produkten bei der Reduzierung von Harnwegsinfekten hinweist, gibt es begründete Zweifel an der Allgemeingültigkeit der Studienergebnisse. Die Gründe liegen zum Teil in methodischen Schwächen einzelner Studien. Es fehlen häufig Angaben zur Qualität und genauen Dosierung der verwendeten Cranberry-Zubereitungen.Bisher existieren keine standardisierten Cranberry-Extrakte, wohl auch deshalb, weil die wirksamkeitsbestimmenden Inhaltsstoffe nur zum Teil bekannt sind. Der Gehalt an Proanthocyanidinen beispielsweise kann in Abhängigkeit vom Anbaugebiet deutlich schwanken. Erste Dosis-Findungsstudien deuten darauf hin, dass Cranberry-Zubereitungen erst ab einer Tagesdosis von ca. 72 mg Proanthocyanidine, entsprechend etwa 600 ml Cranberry-Saft, den Bakteriengehalt im Urin beeinflussen.
Fazit
Eine systematische Analyse der Literatur über die letzten fünf Jahre zeigt, dass keine ausreichenden Belege zur Wirksamkeit von Cranberry-Produkten bei der Prophylaxe von Harnwegsinfektionen vorliegen. Es bleib weiterhin unklar, ob Cranberry die Anzahl der rezidivierenden Harnwegsinfektionen bei Frauen im Langzeitverlauf effektiv reduziert.Bei der Diskussion über die Behandlungsmöglichkeiten von Frauen mit wiederkehrenden Harnwegsinfektionen sollten Cranberry-Produkte dennoch als Alternative oder ergänzender prophylaktischer Ansatz Berücksichtigung finden. Die Daten zur Wirksamkeit sind insgesamt nicht einheitlich und deuten auf eine nur geringe Verminderung des Risikos von rezidivierenden Harnwegsinfekten hin. Über relevante Nebenwirkungen wurde nicht berichtet. Es sind weitere Studien notwendig, um die optimale Dosis und Zubereitungsform zu ermitteln. Wenn entsprechende mikrobiologische Befunde eine antibiotische Therapie nahelegen, sollten Cranberry-Produkte nicht anstelle von Antibiotika angewendet werden.
Literatur
1. Afshar K, Stothers L, Scott H, MacNeily AE. Cranberry juice for the prevention of pediatric urinary tract infection: a randomized controlled trial. J Urol. 2012 Oct;188(4 Suppl):1584-7.
2. Beerepoot MA, ter Riet G, Nys S, van der Wal WM, de Borgie CA, de Reijke TM, et al. Cranberries vs antibiotics to prevent urinary tract infections: a randomized double-blind noninferiority trial in premenopausal women. Arch Intern Med 2011; 171(14): 1270-8.
3. Bianco L, Perrelli E, Towle V, Van Ness PH, Juthani-Mehta M. Pilot randomized controlled dosing study of cranberry capsules for reduction of bacteriuria plus pyuria in female nursing home residents. J Am Geriatr Soc. 2012 Jun;60(6):1180-1.
4. Jepson RG, Williams G, Craig JC. Cranberries for preventing urinary tract infections. Cochrane Database Syst Rev 2012;(10):CD001321.
5. Salo J, Uhari M, Helminen M, Korppi M, Nieminen T, Pokka T, Kontiokari T. Cranberry juice for the prevention of recurrences of urinary tract infections in children: a randomized placebo-controlled trial. Clin Infect Dis. 2012 Feb 1;54(3):340-6.
6. Sánchez Ballester F, Ruiz Vidal V, López Alcina E, Domenech Perez C, Escudero Fontano E, Oltra Benavent A, Montoliu García A, Sobrón Bustamante M. Cysticlean® a highly pac standardized content in the prevention of recurrent urinary tract infections: an observational, prospective cohort study. BMC Urol. 2013 Jun 5;13:28.
7. Wang CH, Fang CC, Chen NC, Liu SS, Yu PH, Wu TY, et al. Cranberry-containing products for prevention of urinary tract infections in susceptible populations: a systematic review and meta-analysis of randomized controlled trials. Arch Intern Med2012;172(13):988-96.