Passiflora: Passionsblumen-Extrakt bei Nervosität, Angst und Schlafstörung – Wirksam oder unwirksam?


Schlaflosigkeit aufgrund von Angst, innerer Anspannung und Stress - wirkt Passiflora?



Welche Fragen werden in diesem Beitrag beantwortet?

  • Bei welchen Erkrankungen werden Passionsblumen-Extrakte angewendet?
  • Welche Dosierungen von Passionsblumen-Extrakten werden empfohlen?
  • Wie wirkt Passionsblumen-Extrakt?
  • Ist die Wirksamkeit von Passiflora durch überzeugende Studiendaten belegt?
  • Welche Nebenwirkungen sind unter der Einnahme von Passionsblumen-Extrakten möglich?


Hintergrund

Passiflora incarnata ist eine in den südöstlichen USA heimische Pflanzenart, die zu der über 530 Arten umfassenden Familie der Passionsblumengewächse gehört. Die meisten der Passiflora-Arten stammen aus Nord-, Mittel- und Südamerika.

Extrakte aus Passionsblumen oder Passiflora incarnata wurden über Jahrhunderte zur Behandlung von Angststörungen insbesondere in Südamerika und später auch in Nordamerika und Europa angewandt (1). Bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatte sich die medizinische Anwendung von Passiflora offensichtlich soweit bewährt, dass Madaus in seinem Lehrbuch der biologischen Heilmittel (1938) ihr eine ausführliche, auf wissenschaftliche Publikationen gestützte Abhandlung widmete, in deren Mittelpunkt vor allem die beruhigende und schlafbringende Wirkung der Heilpflanze stand.


Anwendungsgebiete

Als pflanzliches Arzneimittel ist der Wirkstoff Passionsblumen-Trockenextrakt in Deutschland zur Behandlung von nervösen Unruhezuständen zugelassen.

In der Praxis wird Passiflora incarnata auch bei leichten Einschlafproblemen und nervös bedingten Magen-Darm-Beschwerden eingesetzt. Der Substanz wird eine gute angstlösende Wirkung zugeschrieben.

Empfohlen werden die Extrakte aus Passionsblumen allgemein gegen Anspannung, Stress und Angst. Passiflora soll positiv auf die nervliche Anspannung infolge von Leistungsdruck wirken. Auch als Mittel gegen Flugangst oder zur Minderung von Prüfungsangst werden Passionsblumen-Extrakte von den Herstellern beworben. Darüber hinaus werden Passionsblumen-Extrakte als Prämedikation vor Operationen zur Linderung von Angst angewendet.

Passionsblumen-Extrakte werden als Monopräparate oder in Kombination mit Baldrian oder Johanniskraut rezeptfrei in Apotheken angeboten (z.B.: Pascoflair®, Kytta-Sedativum®, Hoggar® Balance, Neurapas®, Hyperflorin®, Lioran®).

Link: Das Wesentliche zusammengefasst
– Passiflora kurz und bündig


Dosierung

Zu beachten ist, dass der Gehalt an Passionsblumen-Extrakt in den angebotenen Passionsblumen-Präparaten sehr unterschiedlich sein kann. Beispielsweise sind im Präparat Neurapass® neben Johanniskraut und Baldrian nur 32 mg Passionsblumenkraut Trockenextrakt enthalten. Die Arzneimittel Kytta-Sedativum®, Hoggar® Balance und Pascoflair® enthalten hingegen ausschließlich Passionsblumenkraut-Trockenextrakt als Wirkstoff, und zwar in einer Dosierung von 425 mg pro Tablette. Für diese pflanzlichen Arzneimittel wird die Einnahme von täglich 2 bis 3 Tabletten (Tagesdosis: 850 bis 1275 mg) empfohlen (14). Im Unterschied dazu sind im Arzneimittel Passidon® 260 mg Passionsblumenkraut-Extrakt pro Kapsel enthalten, die empfohlene Tagesdosis liegt für Erwachsene bei 2 x 2 Kapseln.

Lioran® (260 mg Passionsblumen-Trockenextrakt): Empfohlen wird eine Einnahme von 2 Kapseln am Abend vor dem Schlafengehen. Abhängig vom Beschwerdegrad können 1 - 3 Kapseln tagsüber genommen werden. Die Maximaldosis pro Tag beträgt 5 Kapseln.


Wirkmechanismus

Nervöse Unruhe kann auf einen Mangel an GABA (Gamma-Aminobuttersäure) im Gehirn zurückzuführen sein. Passionsblumen-Extrakt entfaltet wahrscheinlich einen Teil seiner Wirkung über den Neurotransmitter (Nervenbotenstoff) GABA. Dessen Wirkung wird durch Passiflora verstärkt. Die wirksamkeitsbestimmenden Inhaltsstoffe der Passionsblume sind bisher nicht vollständig bekannt. Es liegen Hinweise vor, dass Benzoflavon-Verbindungen zu den wichtigsten bioaktiven Bestandteilen von Passiflora incarnata zählen (2).

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Studien zur Wirksamkeit von Passionsblumen-Extrakten

In tierexperimentellen Untersuchungen konnte die angstlösende Wirkung von Passiflora überzeugend dokumentiert werden (1, 2).


Übersichtsarbeiten / Metaanalysen zur Wirksamkeit

In einer Cochrane-Metaanalyse aus dem Jahre 2007 wurden insbesondere zwei Studien, die auf eine Nicht-Unterlegenheit von Passiflora im Vergleich zur Standardtherapie mit Benzodiazepinen hinweisen, analysiert. In ihrem Fazit kamen die Autoren zu dem Schluss, dass zu diesem Zeitpunkt noch zu wenig kontrollierte Studien vorlagen, um die Wirksamkeit von Passiflora zu beurteilen (3).

Wenige Jahre später wurde in einer Übersichtsarbeit geprüft, wie sich eine Nahrungsergänzung mit pflanzlichen Wirkstoffen auf Angsterkrankungen bzw. Störungen des Angsterlebens auswirkt (4). Im Ergebnis bescheinigen die Autoren insbesondere Präparaten, die Passionsblumen-Extrakte enthalten eine mögliche Wirksamkeit zur unterstützenden Behandlung bei Erkrankungen, die mit Angstsymptomen einhergehen. Zu einer ähnlich positiven Schlussfolgerung in Bezug auf Passionsblumen-Extrakte kommt die Arbeitsgruppe um Sarris und Mitarbeiter. Auch sie attestieren Passiflora incarnata eine anxiolytische Wirkung und einen positiven Effekt auf angstbedingte Schlafstörungen (5, 15).


Passiflora bei generalisierten Angststörungen

In einer kontrollierten klinischen Studie an 36 Patienten mit generalisierter Angststörung wurde die Wirkung eines Passionsblumen-Extraktes mit der Wirkung des Benzodiazepins Oxazepam verglichen (6). Der Passionsblumen-Extrakt zeigte nach 7-tägiger Anwendung eine vergleichbare angstmindernde Wirkung wie das Benzodiazepin Oxazepam. Vorteile für den Passionsblumen-Extrakt zeigten sich in einer geringeren Beeinträchtigung im Berufsalltag. Ein schnellerer Wirkeintritt wurde in dieser Studie hingegen für das Oxazepam beschrieben. Die Abnahme der Angstsymptomatik wurde mit Hilfe der Hamilton-Angst-Skala dokumentiert. Der durchschnittliche Wert auf der Hamilton-Angst-Skala sank bei der Behandlung mit Passiflora als auch mit Oxazepam von 20 auf 5, wobei Werte zwischen 18 und 24 auf einen mittelschweren Verlauf hinweisen (6).
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Verminderung von Angst vor Operationen

In einer weiteren doppelblinden, Placebo-kontrollierten Studie wurde die Wirkung von Passionsblumen-Extrakt auf die Ängstlichkeit vor einer Operation untersucht (7). Etwa 30 Minuten nach Gabe der Medikation konnte ein signifikanter Unterschied in der Ausprägung von Angst zwischen der Placebo- und der Passiflora-Gruppe dokumentiert werden. Passionsblumen-Extrakte könnten demnach als Prämedikation die Angst vor Operationen mindern (7). Bestätigt wurden diese Ergebnisse in einer kürzlich veröffentlichten Placebo-kontrollierten Untersuchung an 60 Patienten, die vor einer Operation eine Spinalanästhesie erhielten. Auch hier zeigte sich durch die Einnahme von Passionsblumen-Extrakt 30 Minuten vor dem Eingriff eine statistisch signifikante Minderung von Angst im Vergleich zur Placebo-Einnahme (8).


Einfluss auf die Schlafqualität

In einer Placebo-kontrollierten Doppelblind-Studie wurde an 41 Erwachsenen mit gering ausgeprägten Schlafstörungen geprüft, ob durch die tägliche Einnahme von Passiflora über einen Zeitraum von einer Woche die Schlafqualität positiv beeinflusst wird (9). In dieser Untersuchung wurde eine Tee-Zubereitung aus Passionsblumen-Extrakt eingesetzt. Ergebnis: Bei der Auswertung der Schlafprotokolle zeigte sich ein signifikanter Vorteil für die Passionsblumen-Gruppe. Unter der Behandlung mit Passiflora besserte sich insbesondere die subjektive Schlafqualität bei den ansonsten gesunden Erwachsenen (9).


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Verträglichkeit von Passiflora incarnata

Insgesamt wird die Verträglichkeit von Passionsblumen-Extrakten in klinischen Studien als gut beschrieben. Mögliche Wechselwirkungen mit Benzodiazepinen wie Lorazepam können nicht ausgeschlossen werden. Einem Literaturbericht zufolge kann die gleichzeitige Einnahme von Lorazepam und der Kombination aus Passiflora incarnata und Baldrian-Extrakten zu Symptomen von Übererregbarkeit mit Zittern führen (10). Als Nebenwirkungen wurden in Untersuchungen über allergische Hauterscheinungen (14), Schwindel und Benommenheit berichtet (6). 

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Ausblick

 

Diabetes mellitus

Erste tierexperimentelle Untersuchungen weisen auf eine mögliche Wirkung von Passiflora incarnata beim Diabetes mellitus hin (11). In diesen Untersuchungen wurden eine blutzuckersenkende Wirkung, eine verbesserte Glukosetoleranz und ein positiver Einfluss auf das Lipid-Profil unter Passionsblumen-Extrakten beschrieben.


Depression

Es liegen zudem erste Hinweise vor, dass die kombinierte Anwendung von Passiflora incarnata und Johanniskraut-Extrakten einen synergistischen Effekt auf depressive Symptome haben könnte. Einer Untersuchung zufolge könnte die therapeutisch notwendige Dosis von Johanniskraut zur Behandlung der Depression durch die gleichzeitige Anwendung von Passiflora-Extrakten reduziert werden (12).


Epilepsie

Ein häufiges Symptom nach einem epileptischen Anfall (postiktal) ist eine depressive Verstimmung des Patienten, welche noch Tage nach dem Anfall andauern kann. Erste tierexperimentelle Untersuchungen deuten darauf hin, dass eine begleitende Behandlung mit Passiflora incarnata diese postiktale Depression günstig beeinflussen kann (16).


Libido

Es ist bekannt, dass ein übermäßiger, chronischer Konsum von Alkohol und Nikotin erhebliche nachteilige Auswirkungen auf die Libido, Fruchtbarkeit und Spermienzahl beim männlichen Geschlecht haben kann. Möglicherweise haben einzelne Wirkstoffe aus der Passionsblume einen positiven Effekt auf den durch übermäßigen Alkohol- und Nikotin-Konsum bedingten Libido-Verlust. Erste tierexperimentelle Untersuchungen deuten auf eine beschleunigte Wiederherstellung der Sexualität bei Ratten nach Beendigung der Zufuhr von Alkohol und Nikotin hin (13).


Offene Fragen

Da bisher die wirksamen Inhaltsstoffe der Passionsblume nur unvollständig bekannt sind, bleibt auch unklar, welcher Teil der Pflanze den größten Anteil an wirksamkeitsbestimmenden Inhaltsstoffen enthält. Die in Deutschland zugelassenen pflanzlichen Arzneimittel enthalten ausschließlich Passionsblumenkraut-Trockenextrakt. Obwohl in den bisher publizierten Studien nicht standardisierte Passiflora-Extrakte in unterschiedlichen Dosierungen zugrunde lagen, zeigen die Ergebnisse bei der Behandlung von nervösen Unruhezuständen ein übereinstimmend positives Bild. Es kann daher vermutet werden, dass die Wirkstoffe aus Passiflora-Extrakten eine große therapeutische Breite aufweisen.


Fazit

Auf Basis der bisher veröffentlichten Studiendaten können Extrakte der Passionsblume in ausreichend hoher Dosierung als wirksam zur Verminderung von Angst und nervösen Unruhezuständen angesehen werden. In der Mehrzahl der Studien konnte die beruhigende, angstlösende und einschlaffördernde Wirkung von Passionsblumen-Extrakt bestätigt werden. Diese allgemeine Einschätzung wird bestätigt durch Untersuchungen, in denen Passionsblumen-Extrakt als Prämedikation die Angst vor Operationen reduzierte. Bei Angsterkrankungen liegen hingegen zu wenige große, kontrollierte Studien vor, um eine allgemeine Empfehlung zur Anwendung von Passiflora-incarnata-Extrakten aussprechen zu können.

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Literatur


1. Dhawan K, Kumar S, Sharma A. Anti-anxiety studies on extracts of Passiflora incarnata Linneaus. J Ethnopharmacol. 2001 Dec;78(2-3):165-70.

2. Dhawan K, Kumar S, Sharma A. Comparative anxiolytic activity profile of various preparations of Passiflora incarnata linneaus: a comment on medicinal plants' standardization. J Altern Complement Med. 2002 Jun;8(3):283-91.

3. Miyasaka LS, Atallah AN, Soares BG. Passiflora for anxiety disorder.
Cochrane Database Syst Rev. 2007 Jan 24;(1):CD004518.

4. Lakhan SE, Vieira KF. Nutritional and herbal supplements for anxiety and anxiety-related disorders: systematic review. Nutr J. 2010 Oct 7;9:42.

5. Sarris J, Panossian A, Schweitzer I, Stough C, Scholey A. Herbal medicine for depression, anxiety and insomnia: a review of psychopharmacology and clinical evidence. Eur Neuropsychopharmacol. 2011 Dec;21(12):841-60.

6. Akhondzadeh S, Naghavi HR, Vazirian M, Shayeganpour A, Rashidi H, Khani M. Passionflower in the treatment of generalized anxiety: a pilot double-blind randomized controlled trial with oxazepam. J Clin Pharm Ther. 2001 Oct;26(5):363-7.

7. Movafegh A, Alizadeh R, Hajimohamadi F, Esfehani F, Nejatfar M. Preoperative oral Passiflora incarnata reduces anxiety in ambulatory surgery patients: a double-blind, placebo-controlled study. Anesth Analg. 2008 Jun;106(6):1728-32.

8. Aslanargun P, Cuvas O, Dikmen B, Aslan E, Yuksel MU. Passiflora incarnata Linneaus as an anxiolytic before spinal anesthesia. J Anesth. 2012 Feb;26(1):39-44.

9. Ngan A, Conduit R. A double-blind, placebo-controlled investigation of the effects of Passiflora incarnata (passionflower) herbal tea on subjective sleep quality. Phytother Res. 2011 Aug;25(8):1153-9.

10. Carrasco MC, Vallejo JR, Pardo-de-Santayana M, Peral D, Martín MA, Altimiras J.

Interactions of Valeriana officinalis L. and Passiflora incarnata L. in a patient treated with lorazepam. Phytother Res. 2009 Dec;23(12):1795-6.

11. Gupta RK, Kumar D, Chaudhary AK, Maithani M, Singh R. Antidiabetic activity of Passiflora incarnata Linn. in streptozotocin-induced diabetes in mice. J Ethnopharmacol. 2012 Feb 15;139(3):801-6.

12. Fiebich BL, Knörle R, Appel K, Kammler T, Weiss G. Pharmacological studies in an herbal drug combination of St. John's Wort (Hypericum perforatum) and passion flower (Passiflora incarnata): in vitro and in vivo evidence of synergy between Hypericum and Passiflora in antidepressant pharmacological models. Fitoterapia. 2011 Apr;82(3):474-80.

13. Dhawan K, Sharma A. Prevention of chronic alcohol and nicotine-induced azospermia, sterility and decreased libido, by a novel tri-substituted benzoflavone moiety from Passiflora incarnata Linneaus in healthy male rats. Life Sci. 2002 Nov 15;71(26):3059-69.

14. Fachinformation Kytta-Sedativum®

15. Sarris J, McIntyre E, Camfield DA. Plant-based medicines for anxiety disorders, part 2: a review of clinical studies with supporting preclinical evidence. CNS Drugs. 2013 Apr;27(4):301-19.

16. Singh B, Singh D, Goel RK. Dual protective effect of Passiflora incarnata in epilepsy and associated post-ictal depression. J Ethnopharmacol. 2012 Jan 6;139(1):273-9.


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