Wirkt Melatonin bei allgemeinen Schlafstörungen?


Verkürzt Melatonin die Zeit bis zum Einschlafen?

Verbessert Melatonin die Schlafqualität?

 

Hintergrund

Melatonin ist eine natürliche Substanz mit Neurotransmitter-ähnlichen Eigenschaften, die von der Zirbeldrüse (Epiphyse) produziert wird. Dieser Wirkstoff ist in zahlreiche biologische Funktionen und physiologische Abläufe des Körpers eingebunden. Durch die Melatonin-Freisetzung steuert die Zirbeldrüse die innere Uhr und regelt damit die natürlichen Rhythmen von Körperfunktionen. Die Melatoninsynthese wird durch Dunkelheit aktiviert und unter Lichteinfluss gehemmt. Die Freisetzung von Melatonin folgt einem zirkadianen (circa: ungefähr; dias: ein Tag) Rhythmus als Reaktion auf Veränderungen beim Tageslicht.


Die Rolle von endogenem Melatonin bei Störungen des zirkadianen Rhythmus und bei Schlafstörungen ist gut untersucht. Studien belegen eine enge Beziehung zwischen Zirbeldrüsen-Funktion, Schlaf und Melatoninspiegel. Auch stehen nächtliche Melatoninspiegel und die Qualität des Schlafes in einer festen Beziehung. Ebenso korreliert der Rückgang der Melatoninspiegel in der Pubertät und in der älteren Bevölkerung mit den Schlafzeiten, diese sind in der Regel kürzer und die Qualität des Schlafes wird schlechter. 

Kontrollierte klinische Studien haben gezeigt, dass Melatonin wirksam ist als Chronobiotikum bei einer Vielzahl von durch zirkadiane Rhythmusstörung bedingten Schlafproblemen.
Bei primärer Schlaflosigkeit sind die nächtlichen Melatoninspiegel oftmals vermindert. Eine Supplementation von Melatonin hat sich z.B. beim „verzögerten Schlafphasensyndrom“ als wirksam erwiesen. Dabei handelt es sich um einer Art von Schlafstörung, die durch lange Wachheit und der Unfähigkeit vor 2 Uhr bis 3 Uhr einzuschlafen, charakterisiert ist. In mehreren kleinen Studien führte eine 5-mg-Dosis von Melatonin um 22 Uhr gegeben zu einer „Vorverlegung“ der Schlafphase (...und damit zu einer Verkürzung der Zeit bis zum Einschlafen) von etwa 1,5 Stunden und gleichzeitig zu einer insgesamt reduzierten Schlafdauer von etwa 30 Minuten, was auf ein vermindertes Schlafbedürfnis als Folge einer verbesserten Schlafqualität hindeutet (4).

Studien zur Wirksamkeit von Melatonin bei Schlafstörungen

Zur Beurteilung der Wirksamkeit von Melatonin bei allgemeinen Schlafstörungen liegen mehrere Übersichtsarbeiten und Metaanalysen vor. In einer Übersichtsarbeit, der vier Studien von hoher Qualität mit insgesamt 845 Teilnehmern zugrunde lagen, wurde die Wirksamkeit von Melatonin zur Verbesserung des Schlafs bei Menschen, die unter Schlafstörungen litten, bewertet. Zwei dieser Studien begünstigten vom Ergebnis her weder Melatonin noch die Kontrollgruppe, während die restlichen zwei Studien, einschließlich einer sehr großen Studie (n = 791), Melatonin begünstigten (1).

In eine Placebo-kontrollierte Studie wurde 791 Patienten (18 - 80 Jahre) mit primären Schlafstörungen eingeschlossen, die u.a. über eine abendliche Einschlafzeit von mehr als 20 Minuten berichteten (5). Die Behandlung erfolgte mit 2 mg einer verzögert freisetzenden Melatonin-Formulierung oder Placebo jeweils 1 bis 2 Stunden vor dem Schlafengehen. Ergebnisse: Nach 3 Wochen zeigten sich deutliche Unterschiede in der Schlaf-Latenz (Einschlafzeit) zugunsten von Melatonin im Vergleich zur Placebo-Behandlung für die Altersgruppe der 55- bis 80-Jährigen (-15,4 vs. -5,5 min, p = 0,014). Bei den jüngeren Patienten war die Einschlafzeit nicht signifikant verkürzt. Hingegen hatte sich die Schlafqualität im Gesamtkollektiv (18 bis 80 Jahre) statistisch signifikant verbessert. Die Verbesserung der Schlafqualität durch Melatonin blieb ohne Anzeichen von Toleranz über den Zeitraum von 6 Monaten erhalten oder nahm weiter zu. Darüber hinaus konnten weder Entzugserscheinungen noch eine Rebound-Schlaflosigkeit nachgewiesen werden. Die meisten unerwünschten Ereignisse waren gering ausgeprägt, ohne signifikante Unterschiede zwischen Melatonin und der Placebo-Gruppe (5).

In einer weiteren Placebo-kontrollierten Studie mit 3-wöchiger Behandlungsphase betrug die Rate der Patienten, die eine klinisch signifikante Besserung sowohl der Schlafqualität als auch des Wachheitsgrades am Morgen zeigten, 47 % in der Melatonin-Gruppe im Vergleich zu 27 % in der Placebo-Gruppe. Außerdem verbesserten sich die Schlafqualität und der morgendliche Wachheitsgrad signifikant unter der retardierten 2 mg Melatonin-Zubereitung im Vergleich zu Placebo. Ein Rebound-Phänomen, eine Zunahme von Nebenwirkungen oder eine Zunahme der Absetzsymptome wurde nach Ende der Behandlung nicht beobachtet (2).

Bestätigt wurden diese Ergebnisse durch eine weitere Placebo-kontrollierte Untersuchung über 3 Wochen. In dieser Studien betrug die Rate der Patienten, die eine klinisch signifikante Besserung sowohl der Schlafqualität als auch des Wachheitsgrades am Morgen zeigten, 26 % in der Melatonin-Gruppe im Vergleich zu 15 % in der Placebo-Gruppe. Melatonin verkürzte die von den Patienten berichtete Zeit bis zum Einschlafen um 24,3 Minuten versus 12,9 Minuten unter Placebo-Einnahme. Zudem verbesserten sich die von den Patienten selbst berichtete Schlafqualität, die Zahl der Schlafunterbrechungen und der morgendliche Wachheitsgrad unter Melatonin gegenüber Placebo signifikant. Auch die Lebensqualität verbesserte sich unter der retardierten 2 mg Melatonin-Zubereitung signifikant gegenüber Placebo (2).

Nachfolgend hat eine 19 Studien umfassende Metaanalyse mit 1683 Probanden die Wirksamkeit von Melatonin zur Behandlung von primären Schlafstörungen untersucht. Melatonin zeigten eine signifikante Wirksamkeit bei der Verringerung der Schlaf-Latenz (Einschlafzeit) um durchschnittlich 7 Minuten und eine Verlängerung der Gesamtschlafzeit (8 Minuten). Untersuchungen mit längerer Behandlungsdauer und mit höheren Dosen von Melatonin zeigten im Vergleich zu Placebo eine stärkere Verkürzung der Zeit bis zum Einschlafen und eine deutliche Verlängerung der Gesamtschlafzeit. Insgesamt verbesserte sich die Schlafqualität unter Melatonin statistisch signifikant. Die Studiendauer und die Dosierung von Melatonin hatten keinen signifikanten Einfluss auf die Schlafqualität (3).


Fazit

Diese bisher veröffentlichten Studiendaten zeigen, dass Melatonin die Einschlafzeit verkürzt, die Gesamtschlafzeit erhöht und die Qualität des Schlafes verbessern kann. Die Wirkungen von Melatonin auf Schlafstörungen waren insgesamt eher gering ausgeprägt, scheinen aber auch bei anhaltendem Melatonin-Gebrauch offenbar nicht nachzulassen. Obwohl der Effekt von Melatonin auf die Schlafstörungen im Vergleich zu Placebo kleiner ist als für andere chemisch definierte Schlafmittel (z.B. Zopiclon) hat Melatonin aufgrund seines relativ günstigen Nebenwirkungsprofils einen Stellenwert bei der Behandlung von Schlafstörungen (3).


Zulassungsstatus – Melatonin als Arzneimittel oder Nahrungsergänzungsmittel?

Während Melatonin in den USA als „Nahrungsergänzungsmittel“ ohne Rezept erworben werden kann, ist Melatonin in Deutschland nur als Arzneimittel auf Rezept erhältlich.

Das Arzneimittel „Circadin 2 mg Retardtabletten“ ist z.B. als Schlafmittel für ältere Personen, deren Schlaf durch eine schlechte Schlafqualität beeinträchtigt ist, zugelassen (2).

Ende 2012 wurde kurz nach der Markteinführung in Deutschland ein Nahrungsergänzungsmittel mit 1,5 mg Melatonin (Gaba Life) von den Behörden wieder aus dem Verkehr gezogen. Auf Grund der hormonartigen Wirkungen wurde das Produkt als zulassungspflichtiges Arzneimittel eingestuft.


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Verträglichkeit

In kontrollierten Studien wurden als häufigste Nebenwirkungen Kopfschmerzen, Nasopharyngitis (Entzündung der Nase und des Rachens), Rückenschmerzen und Gelenkschmerzen beobachtet (2). In der Literatur werden darüber hinaus noch, Bauchkrämpfe, eine verringerte Wachsamkeit, eine Störung des zirkadianen Rhythmus und Tagesmüdigkeit beschrieben (4).


Mögliche Wechselwirkungen

Melatonin sollte nicht zusammen mit Alkohol eingenommen werden, da dieser die Wirkung von Melatonin auf den Schlaf herabsetzt (2).
Melatonin kann die sedierenden Eigenschaften von Benzodiazepinen und von Nicht-Benzodiazepin-Schlafmitteln wie Zaleplon, Zolpidem und Zopiclon verstärken.
Vorsicht ist geboten bei Patientinnen, die Östrogene erhalten (z. B. Kontrazeptiva oder Hormonersatztherapie), da diese die Melatoninspiegel durch Hemmung des Abbaus erhöhen. In diesem Fall sollte eine möglichst geringe Melatonin-Dosis angewendet werden.
Eine Anwendung von Melatonin bei Patienten mit Autoimmunerkrankungen wird nicht empfohlen (2).

Weitere Informationen zur Wirksamkeit von Melatonin: 

  • Angst in Zusammenhang mit einer Operation – Vermindert Melatonin wirksam das Auftreten von Angst?
  • Melatonin gegen Jetlag – Ist Melatonin wirksam zur Vorbeugung von Symptomen eines Jetlags?

     


    Literatur / Quellennachweis

    1. Costello RB, Lentino CV, Boyd CC, O'Connell ML, Crawford CC, Sprengel ML, Deuster PA. The effectiveness of melatonin for promoting healthy sleep: a rapid evidence assessment of the literature. Nutr J. 2014 Nov 7;13:106. Review.
    2. Fachinformation Circadin 2 mg Retardtabletten, Stand Juli 2015
    3. Ferracioli-Oda E, Qawasmi A, Bloch MH: Meta-analysis: melatonin for the treatment of primary sleep disorders. PLoS One 2013,8:e63773.
    4. Malhotra, S; Sawhney G; Pandhi P. The Therapeutic Potential of Melatonin: A Review of the Science. Medscape, Allergy & Clinical Immunology; http://www.medscape.com/viewarticle/472385
    5. Wade AG, Crawford G, Ford I, McConnachie A, Nir T, Laudon M, Zisapel N: Prolonged release melatonin in the treatment of primary insomnia: evaluation of the age cut-off for short- and long-term response. Curr Med Res Opin 2011,27:87–98.

     

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