Hintergrund
Das akute Lumbalsyndrom (Lumbalgie, Lumbago) wird umgangssprachlich auch als Hexenschuss bezeichnet: Ein plötzlich auftretender, stechender und anhaltender Schmerz, insbesondere im Lendenwirbelbereich, mit nachfolgender Bewegungseinschränkung.Das Lumbalsyndrom ist oftmals auf degenerative und funktionelle Störung der lumbalen Wirbelsäule zurückzuführen. Kreuzschmerz gehört zu den am häufigsten angegebenen Schmerzen. Frauen sind häufiger betroffen als Männer.
Häufigkeit
Nach den Daten des letzten Bundes-Gesundheitssurveys berichteten in Deutschland 39 % der Frauen und 31 % der Männer, während der letzten sieben Tage Rückenschmerzen gehabt zu haben. Am häufigsten sind Frauen und Männer zwischen 50 und 59 Jahren mit einer Prävalenz von 44 % bzw. 39 % betroffen. Unter chronischem Rückenschmerz, der mindestens drei Monate anhielt und sich täglich oder nahezu täglich bemerkbar machte, litten 22 % der Frauen und 15 % der Männer. In einer Querschnittsuntersuchung in fünf deutschen Städten zeigte sich, dass Rückenschmerzen mit einer Prävalenz von 34 % eine der häufigsten Beschwerden sind (7).Prognose
Die Prognose der Lumbalgie ist gut. Die Beschwerden der Erkrankung sind in der Regel selbstbegrenzend (die Genesungsrate nach Hexenschuss liegt nach sechs Wochen bei 90 %), 2 bis 7 % der Betroffenen entwickeln dennoch chronische Schmerzen. Bei über der Hälfte der Fälle bessern sich Schmerzen und Funktion innerhalb eines Monats um 80 %. Ebenso können 68 bis 86 % der Krankgeschriebenen innerhalb eines Monats wieder ihrer Arbeit nachgehen. In einer weiteren Übersichtsarbeit wird berichtet, dass durchschnittlich 62 % der Betroffenen nach zwölf Monaten noch nicht wieder schmerzfrei sind, 16 % sind nach sechs Monaten noch nicht wieder in der Lage, ihre alltäglichen Aktivitäten aufzunehmen. Weiterhin erlitten 60 % der Betroffenen Rückfälle in Bezug auf Schmerzen. Etwa ein Drittel wurde erneut arbeitsunfähig (2, 7).Ursachen einer Lumbalgie
Beim erstmaligen Auftreten einer Lumbalgie ist ein Arztbesuch notwendig, um behandelbare Ursachen frühzeitig zu erkennen. Wichtig ist dabei eine eingehende ärztliche Untersuchung. In der Mehrzahl der Fälle lassen sich keine Ursachen für das Auftreten einer Lumbalgie finden.Entsprechend der Ursache können nicht-spezifische und spezifische Rückenschmerzen unterschieden werden. Bei nicht-spezifischem Rückenschmerz lassen sich keine eindeutigen Hinweise auf eine spezifische Ursache erkennen. Dagegen hat spezifischer Kreuzschmerz eine feststellbare Ursache z. B. Fraktur, Infektion, Osteoporose, Bandscheibenvorfall usw.
Untersuchungen belegen, dass nur in 15 % der Fälle eine spezifische Ursache für das Symptom Rückenschmerz gefunden werden konnte. Andere Untersuchungen deuten häufig auf degenerative Wirbelsäulenveränderungen als Auslöser hin (Bandscheibenvorfall, Spinalkanalstenose, degenerative Veränderungen der kleinen Wirbelgelenke usw.). Beim wiederholten Auftreten einer Lumbalgie ist nach einer ersten ärztlichen Untersuchung, die keine Ursachen identifizieren konnte, daher nicht zwingend ein weiterer Arztbesuch notwendig.
Beim zeitlichen Verlaufs wird akuter, subakuter und chronischer/chronisch rezidivierender Rückenschmerz unterschieden. Unter akutem Rückenschmerz werden Schmerzepisoden, die weniger als sechs Wochen anhalten, zusammengefasst.
Finden sich durch Anamnese und klinische Untersuchung keine Hinweise für gefährliche Verläufe und andere ernstzunehmende Ursachen, sind Ärzte angehalten keine weiteren diagnostischen Maßnahmen durchzuführen (z.B. kein Röntgen der Wirbelsäule).
Achtung, Arztbesuch notwendig!
Bei Ausstrahlung der Schmerzen ins Bein als möglichem Hinweis auf eine radikuläre Symptomatik sollte eine ärztliche Untersuchung erfolgen. Auch eine bestehende muskuläre Schwäche, Gefühlsstörungen in den Beinen oder eine Blasenentleerungsstörung sollte als Anlass für einen Arztbesuch angesehen werden.Verlauf
Der Schmerzverlauf ist individuell sehr verschieden. In der Regel ist der erste Tag am schlimmsten; danach werden die Schmerzen langsam weniger. Auch die Gabe von 800 mg Ibuprofen kann die Schmerzen in der Regel nur lindern, die schmerzhaften Bewegungseinschränkungen bleiben jedoch häufig bestehen. Am zweiten und dritten Tag nehmen die Schmerzen weiter ab. Auch bei einem günstigen Verlauf lösen bestimmte Bewegungen noch nach einer Woche Schmerzen aus. Sind die Beschwerden auf die untere Wirbelsäule beschränkt, ist in der Regel der Hexenschuss nach vier Tagen überstanden.Aus der Praxis
Ein Bewegungsbad im warmen Wasser schafft häufig Erleichterung. Oftmals wird gehen und stehen als wesentlich angenehmer empfunden als sitzen. Längeres Sitzen führt häufig zu erneuten Beschwerden. In Bewegung bleiben scheint wesentlich günstiger für den Heilungsprozess zu sein als eine statische Haltung, sei es beim Sitzen oder Stehen. Abhängig vom Schweregrad der Schmerzen ist eine Aufnahme von sportlicher Aktivität häufig schon nach wenigen Tagen möglich. Schwimmen (Freistil) ist erstaunlich früh schmerzfrei möglich. Auch Dauerläufe sind bei gut trainierten Läufern überraschend früh möglich.Als mögliche Ursache für ein Lumbalsyndrom kommen ungewohnte unphysiologische Haltungen z.B. bei Schlafen oder infolge langen Sitzens infrage. Beispielsweise kann ein Schlafen auf einer Isomatte auf hartem Untergrund ein auslösender Faktor sein. Auch ungewohnte Drehbewegungen im Rumpf unter Belastung können als Trigger wirken.
Behandlungsempfehlungen
Bettruhe
Bettruhe ist bei Patienten mit unspezifischen akuten Rückenschmerzen nicht zu empfehlen (2, 7). Wenn überhaupt, kann eine Bettruhe nur am ersten Tag zur Schmerzlinderung angewandt werden. Empfohlen wird die Stufenlagerung (Rückenlage mit rechtwinklig gebeugten Knien) oder in Seitenlage mit angezogenen Beinen. Studien liefern Hinweise darauf, dass Bettruhe weniger effektiv ist bei der Verringerung der Schmerzen und Verbesserung der Funktion. Nebenwirkungen längerer Bettruhe können Gelenksteifigkeit, Muskelschwäche, Verlust der Knochendichte und Thrombose sein.Bewegung
Auch bei einer akuten Lumbalgie sollte körperliche Aktivität soweit wie möglich beibehalten werden (7). Sitzen sollte auf ein möglichst geringes Maß reduziert werden (2).Wärme- und Kälte-Anwendung
Untersuchungen belegen, dass während der ersten fünf Tage bei akuten Schmerzen im unteren Rücken eine Wärmebehandlung effektiver zur Verringerung der Schmerzen und Bewegungseinschränkung sein kann als NSAR (Ibuprofen, Diclofenac) oder Paracetamol. Es zeigte sich jedoch kein Unterschied zwischen Wärmeanwendung und McKenzie-Therapie nach sieben Tagen (3, 5). Eine weitere Untersuchung ergab, dass eine Wärmetherapie in Verbindung Schmerzmitteln (NSAR) effektiver ist als NSAR allein. Die Anwendung von Kälte und Wärme haben einen ähnlichen schmerzlindernden Effekt (2).Methoden mit ausreichend belegter Wirksamkeit
McKenzie-Methode
Physiotherapeuten empfehlen oft die McKenzie-Methode oder Wirbelsäulenstabilisationsübungen zur Behandlung von Schmerzen im unteren Rückenbereich. Die McKenzie-Methode hat sich in Studien als etwas effektiver im Vergleich zu anderen Therapieoption zur Linderung von Rückenschmerzen erwiesen (8); der Unterschied ist jedoch wahrscheinlich klinisch nicht relevant (6, 9). Untersuchungen zum Einfluss auf die Bewegungseinschränkung haben zu widersprüchlichen Ergebnissen geführt (2).Kräftigungs- und Stabilisierungsübungen
Stabilisierungsübungen der Wirbelsäule können dazu führen, dass Schmerzen, Bewegungseinschränkung und das Rezidivrisiko verringert werden (2, 9).Ein durch Physiotherapeuten angeleitetes Trainingsprogramm für Zuhause konnte in Studien die Rezidivrate einer Lumbalgie senken, die Zeitspanne zwischen den Episoden mit Rückenschmerzen verlängern und die Zahl der Arztbesuche vermindern (2).
Chirotherapie - manuelle Therapie
Eine Manipulation oder Mobilisation zum Lösen von Blockierungen kann zur Behandlung der akuten Lumbalgie angewendet werden (3, 7).Progressive Muskelentspannung nach Jacobson
Entspannungsverfahren, wie die „Progressive Muskelrelaxation nach Jacobson“ können zur Behandlung der akuten Lumbalgie empfohlen werden (7).Rückenschule
Rückenschule ist als vorbeugende Maßnahme besonders bei rezidivierenden Rückenschmerzen zu empfehlen.Medikamentöse Behandlung
Bei leichten bis moderaten Rückenschmerzen kann ein Behandlungsversuch mit Paracetamol 500 mg bis zu einer maximalen Tagesdosis von 2 g unternommen werden (4).Bei akuter Lumbalgie können NSAR zur Schmerzlinderung eingesetzt werden. Die Wirksamkeit für bis zu 1,2 g Ibuprofen, 100 mg Diclofenac oder 750 mg Naproxen täglich konnte in Studien belegt werden. Bei unzureichender Wirkung kann die Dosis unter Beachtung und ggf. Prophylaxe der möglichen Nebenwirkungen auf bis 2,4 g Ibuprofen, 150 mg Diclofenac oder 1,25 g Naproxen erhöht werden (4, 7).
Bei starken Schmerzen und fehlendem Ansprechen auf Analgetika (wie Paracetamol, NSAR) werden auch schwache Opioide (z. B. Tramadol, Tilidin/Naloxon) bei der akuten Lumbalgie eingesetzt (4).
Auch Muskelrelaxanzien können bei Lumbalgie angewendet werden, wenn nichtmedikamentöse Maßnahmen oder die alleinige Gabe von starken Schmerzmitteln keine Besserung bewirken.
Methoden mit nicht belegter Wirksamkeit
Nach Bewertung in der Nationalen Versorgungsleitlinie „Kreuzschmerz“ ist die Wirksamkeit einer Vielzahl von Behandlungsmethoden nicht ausreichend belegt (7).Die nachfolgend aufgeführten Therapieoptionen sollten daher zur Behandlung der akuten Lumbalgie nicht angewendet werden (7):
Massage
Massage soll zur Behandlung der akuten Lumbalgie nicht angewendet werden.Orthesen - Bandagen
Orthesen sollen zur Behandlung der akuten Lumbalgie nicht angewendet werden.Akupunktur
Akupunktur soll zur Behandlung der akuten Lumbalgie nicht angewendet werden.Krankengymnastik
Krankengymnastik soll zur Behandlung der akuten Lumbalgie nicht verordnet werden.Transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS)
TENS soll zur Behandlung des akuten nichtspezifischen Kreuzschmerzes nicht angewendet werden.Interferenztherapie
Interferenztherapie/Interferenzstrombehandlung ist eine Form der Elektrotherapie und soll zur Behandlung der akuten Lumbalgie nicht angewendet werden. Neuere Untersuchungen deuten hingegen darauf hin, dass die Interferenzstrombehandlung bei der Lumbalgie schmerzlindernd wirken kann (1).Lasertherapie
Lasertherapie soll zur Behandlung der akuten Lumbalgie nicht angewendet werden.Magnetfeldtherapie
Magnetfeldtherapie soll zur Behandlung der akuten Lumbalgie nicht angewendet werden.Traktion
Traktion mit Gerät soll bei der akuten Lumbalgie nicht angewendet werden (2).Ultraschall
Therapeutischer Ultraschall soll bei der akuten Lumbalgie nicht angewendet werden.Fazit
Bei der akuten Lumbalgie handelt es sich um eine schmerzhafte, aber selbstlimitierende Erkrankung der Lendenwirbelsäule, die in der Regel eine gute Prognose aufweist. In vielen Fällen ist eine weitergehende ärztliche Diagnostik nicht notwendig, da bei der Mehrzahl der Patienten keine Ursache identifiziert werden kann. Ziel der Schmerzbehandlung mit NSAR und einer Wärmeanwendung ist eine möglichst frühe Wiederaufnahme von körperlicher Aktivität. Langfristig können muskuläre Stabilitätsübungen zur Vermeidung von Rezidiven beitragen.Quellenangabe / Literaturnachweis
1. Bravo Acosta T, Martín Cordero JE, Hernández Tápanes S, Pedroso Morales I, Fernández Cuesta JI, Leyva Serrano M. Usefulness of the Pain Tracking Technique in Acute Mechanical Low Back Pain. Pain Res Treat. 2015;2015:512673.
2. Casazza BA. Diagnosis and treatment of acute low back pain. Am Fam Physician. 2012 Feb 15;85(4):343-50. Review.
3. Chou R, Huffman LH; American Pain Society; American College of Physicians. Nonpharmacologic therapies for acute and chronic low back pain: a review of the evidence for an American Pain Society/American College of Physicians clinical practice guideline. Ann Intern Med. 2007 Oct 2;147(7):492-504.
4. Chou R, Huffman LH; American Pain Society; American College of Physicians. Medications for acute and chronic low back pain: a review of the evidence for an American Pain Society/American College of Physicians clinical practice guideline. Ann Intern Med. 2007 Oct 2;147(7):505-14.
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7. Nationale Versorgungsleitlinie Kreuzschmerz; Bundesärztekammer, Kassenärztliche Bundesvereinigung, Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften; 1. Auflage, Version 4, November 2010, zuletzt geändert: August 2013
8. Petersen T, Christensen R, Juhl C. Predicting a clinically important outcome in patients with low back pain following McKenzie therapy or spinal manipulation: a stratified analysis in a randomized controlled trial. BMC Musculoskelet Disord. 2015 Apr 1;16:74.
9. Petersen T, Kryger P, Ekdahl C, Olsen S, Jacobsen S. The effect of McKenzie therapy as compared with that of intensive strengthening training for the treatment of patients with subacute or chronic low back pain: A randomized controlled trial. Spine (Phila Pa 1976). 2002 Aug 15;27(16):1702-9.