Capsaicin zur Behandlung von neuropathischen Schmerzen – wirksam oder unwirksam?

 

Kann ein topisches Präparat mit Capsaicin chronische Schmerzen bei neuropathischen und muskuloskeletalen Erkrankungen lindern?



Hintergrund

Capsaicin wird äußerlich als Creme oder Pflaster zur Behandlung chronisch neuropathischer Schmerzen angewendet. Auch bei Muskelschmerzen und Muskelverspannungen insbesondere an der Hals- und Lendenwirbelsäule kommt Capsaicin zum Einsatz.

Capsaicin, ein Inhaltsstoff des Cayenne Pfeffers, bindet an die Schmerzrezeptoren der Haut und verringert vorübergehend die Dichte von Nervenfasern. Nach längerer lokaler Anwendung auf der Haut wird eine anhaltende Desensibilisierung erzeugt. Capsaicin ist als 0,025-0,075 %ige Creme (Anwendung 3-4 mal/Tag) oder als 8 %iges Pflaster zur einmaligen Anwendung im Handel (Markenname z.B.: Finalgon Capsicum Creme, Hot Thermo dura C,
Qutenza®).


Was sind neuropathische Schmerzen?

Neuropathischer Schmerz ist ein Schmerz, der durch Läsionen oder Dysfunktionen des Nervensystems ausgelöst oder bedingt ist. Beim Neuropathischen Schmerz ist demnach das schmerzleitende System selbst gestört. Die durch Herpes zoster bedingte postherpetische Neuralgie zählt zu den neuropathischen Schmerzen. Die Trigeminusneuralgie ist ein Prototyp des neuropathischen Schmerzes. Auch der Phantomschmerz nach Amputationen gehört in diese Gruppe. Selbst Bandscheibenvorfälle können langfristig unter Umständen zu neuropathischen Schmerzen führen.


Welche Erkrankungen zählen zu den muskuloskeletalen Erkrankungen?

In Deutschland leiden rund 30 Millionen Menschen unter den so genannten muskuloskeletalen Erkrankungen, zu denen neben Arthrose und Osteoporose auch Rückenschmerzen, rheumatische Erkrankungen sowie Sport- und Unfallverletzungen zählen.


Metaanalysen zur Wirksamkeit von Capsaicin

Bereits im Jahre 2004 wurden in einer Metaanalyse insgesamt 16 Studien mit zusammen 1559 Patienten hinsichtlich der Wirksamkeit von Capsaicin analysiert (1). Zu den Erkrankungen, bei denen sich topisches Capsaicin in placebo-kontrollierten Studien als wirksam erwiesen hatte, zählen die diabetische Neuropathie, die postherpetische Neuropathie, postoperative Schmerzen und das Guillain-Barré-Syndrome.

In einzelnen kontrollierten Studien konnten die Schmerzen in den Capsaicin-Gruppen verglichen mit Placebo signifikant gesenkt werden, sowohl nach 4 wie auch nach 8 Wochen Behandlung. In der Nachbeobachtungsphase zeigte sich, dass die schmerzlindernde Wirkung im Durchschnitt weitere 4 bis 8 Wochen anhielt. Die Resultate dieser Metaanalyse bestätigen eine bereits 1994 publizierte Übersichtsarbeit zu Wirksamkeit von Capsaicin (1).

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Die Wirksamkeit von Capsaicin-Creme (< 1 %) wurde im Jahr 2012 erneut in einer Cochrane-Metaanalyse bewertet (3). Grundlage der Analyse waren sechs Studien (389 Teilnehmer insgesamt), in denen die regelmäßige Anwendung von niedrig dosierter (0,075 %) Capsaicin-Creme mit Placebo-Creme verglichen wurde. Es gab erhebliche Unterschiede in den Ergebnissen, wahrscheinlich als Folge der geringen Patientenzahlen und der unterschiedlichen Schmerzzustände, die untersucht wurden. Auch lagen den Studien verschiedene Definitionen von "klinischen Erfolg" zugrunde. Nur zwei Studien enthielten Daten bezogen auf den international anerkannten primären Endpunkt, einer mindestens 50%igen Schmerzlinderung. Nach Einschätzung der Autoren lagen keine ausreichenden Studiendaten vor, um konkrete Schlüsse zur Wirksamkeit von niedrig konzentrierter Capsaicin-Creme bei der Behandlung von neuropathischen Schmerzen zu ziehen. Die vorliegenden Daten legen nahe, dass topisches Capsaicin in niedriger Konzentration keine bedeutsame zusätzliche Wirkung über die mit der Placebo-Creme zu beobachtende Wirkung hinaus hat. Den Autoren zufolge sei es unwahrscheinlich, dass topisches Capsaicin in niedriger Konzentration eine sinnvolle Anwendung in der klinischen Praxis hätte (3). 

In einer weiteren Cochrane-Übersichtsarbeit aus dem Jahre 2013 zur Wirksamkeit von hochdosiertem Capsaicin (8 %) bei neuropathischen Schmerzen wurden sechs Studien mit zusammen 2.073 Teilnehmern analysiert (4). Die Studien waren in der Regel von guter methodischer Qualität. Um die Verblindung aufrechtzuerhalten wurde als Kontrollbehandlung ein sehr gering-konzentriertes topisches Capsaicin verwendet. In vier dieser Studien mit zusammen 1.272 Patienten wurden Postzosterschmerzen behandelt. In allen Untersuchungen war hochkonzentriertes Capsaicin (8%ig) deutlich besser als die Kontroll-Applikation. Sowohl nach 8 als auch nach 12 Wochen ging es signifikant mehr Patienten unter Capsaicin viel oder sehr viel besser als in der Kontrollgruppe. Es wurde eine Number-needed-to-treat (NNT) von 8,8 (95% Konfidenzintervall (CI) 5,3 bis 26) und 7,0 (95% CI 4,6 bis 15 ) ermittelt. Auch in zwei Studien zur Behandlung einer schmerzhaften HIV-Neuropathie mit zusammen 801 Patienten zeigte sich eine ähnlich gute Ansprechrate auf die topische Capsaicin-Behandlung. 

Fazit der Autoren: Hochkonzentriertes topisches Capsaicin führte bei der Behandlung von Postzosterschmerzen und der HIV-Neuropathie bei mehr Patienten zu einem hohen Grad der Schmerzlinderung als eine Kontrollbehandlung (4). 


Auch wenn die durchschnittliche Schmerzreduktion in Studien im Vergleich zur Kontrollgruppe nicht sehr ausgeprägt war, so profitieren wahrscheinlich diejenigen, die ein hohes Maß an Schmerzlinderung erfahren zusätzlich durch die damit verbundene Besserungen in Bezug auf die Schlafqualität und damit insgesamt von einer Verbesserung der Lebensqualität. 

Capsaicin bei muskuloskeletalen Beschwerden 

In einer Placebo-kontrollierten Studie wurde geprüft, ob chronische Nackenschmerzen auf eine Behandlung mit Capsaicin ansprechen. In dieser Untersuchung wurden 61 Patienten mit chronischen Schmerzen im Bereich von Hals und Nacken über 4 Wochen mit einem Capsaicin-Pflaster (0,1%) oder Placebo behandelt. Am Ende der Beobachtungsphase zeigte sich kein Unterschied zwischen der Placebo- und der Capsaicin-Gruppe in Bezug auf die Schmerzintensität. Die Autoren folgerten, dass die Pflaster-Anwendung mit einer Capsaicin-Konzentration von 0,1 % nicht wirksam sei zur Behandlung von muskuloskeletalen Beschwerden im Nackenbereich (5). 

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Capsaicin zur Behandlung der Kniegelenksarthrose 

Das Zucapsaicin (Civamide, Civanex®) ist chemisch betrachtet das cis-Isomer des Capsaicins. Diese Substanz wurde u.a. in einer Doppelblindstudie zur Behandlung der Kniegelenksarthrose an 695 Patienten untersucht. In der 12-wöchigen Behandlungsphase erwies sich Civaminde der Kontrollbehandlung als signifikant überlegen (6). Diese spezielle Capsaicin-Creme (0,075%) ist nicht in Deutschland, wohl aber in Kanada als Arzneimittel zugelassen. 

Capsaicin zur Behandlung von nicht-allergischen Schnupfen

Capsaicin kann als eine wirksame Behandlungsoption bei idiopathischer, nicht-allergischer Rhinitis angesehen werden. Capsaicin wird in der Regel in Form mehrerer Behandlungen am gleichen Tag gegeben. Capsaicin scheint positive Auswirkungen auf die nasalen Symptome über einen Zeitraum von bis zu 36 Wochen zu haben. Diese Ergebnisse basieren allerdings nur auf wenigen, kleinen Studien.  

Weitere Details: 


Verträglichkeit 

Lokale Nebenwirkungen treten häufig unter der Anwendung von Capsaicin auf. Die wichtigsten Nebenwirkungen in Studien unter der Behandlung mit Capsaicin waren Rötungen und anhaltendes Brennen an der Applikationsstelle. Diese Hautreaktionen waren meist erträglich und schwächten sich mit der Zeit ab. Zu beachten ist, dass jeder dritte Patient in der Capsaicin-Gruppe lokale Nebenwirkungen erlitt, wobei die Nebenwirkungen nicht von der Konzentration der Capsaicin-Salbe anhängig waren. Schwerwiegende unerwünschte Ereignisse in Studien mit Capsaicin waren unter der aktiven Behandlung (4,1 %) nicht wesentlich häufiger als unter der Kontrollbehandlung (3,2 %). Das Einatmen von Creme kann zu einer Reizung der Atemwege mit Husten führen. Einer von 10 Patienten in der Capsaicin-Gruppe musste aufgrund der Nebenwirkungen die Therapie beenden. 

Fazit 

Eine aktuelle Metaanalyse bestätigt, dass die topische Anwendung von hochdosiertem Capsaicin (z.B. als Pflaster, 8%ig) die chronischen Schmerzen, welche durch neuropathische Erkrankungen bedingt sind, verglichen mit Placebo signifikant reduzieren kann. Hochdosiertes topisches Capsaicin kommt wahrscheinlich am ehesten zum Einsatz, wenn andere verfügbare Therapien versagt haben. Hingegen konnte die Wirksamkeit der niedrig dosierte Capsaicin-Creme (0,075 %) bisher nicht ausreichend belegt werden. Neueren Studien zufolge ist Capsaicin bei der Behandlung von chronischen Nackenschmerzen, die auf Muskelverspannungen zurückzuführen sind, nicht wirksam. Capsaicin sollte nicht dauerhaft ohne eine dokumentierte wesentliche Schmerzlinderung eingesetzt werden, da die Langzeitverträglichkeit noch nicht ausreichend bekannt ist.



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Literatur 

1. Mason L, Moore RA, Derry S, Edwards JE, McQuay HJ. Systematic review of topical capsaicin for the treatment of chronic pain. BMJ. 2004 Apr 24;328(7446):991. 

2. Jorge LL, Feres CC, Teles VE. Topical preparations for pain relief: efficacy and patient adherence. J Pain Res. 2010 Dec 20;4:11-24. 

3. Derry S, Moore RA. Topical capsaicin (low concentration) for chronic neuropathic pain in adults. Cochrane Database Syst Rev. 2012 Sep 12;9:CD010111. 

4. Derry S, Sven-Rice A, Cole P, Tan T, Moore RA. Topical capsaicin (high concentration) for chronic neuropathic pain in adults. Cochrane Database Syst Rev. 2013 Feb 28;2:CD007393. 

5. Cho JH, Brodsky M, Kim EJ, Cho YJ, Kim KW, Fang JY, Song MY. Efficacy of a 0.1% capsaicin hydrogel patch for myofascial neck pain: a double-blinded randomized trial. Pain Med. 2012 Jul;13(7):965-70. 

 6. Schnitzer TJ, Pelletier JP, Haselwood DM, Ellison WT, Ervin JE, Gordon RD, Lisse JR, Archambault WT, Sampson AR, Fezatte HB, Phillips SB, Bernstein JE. Civamide cream 0.075% in patients with osteoarthritis of the knee: a 12-week randomized controlled clinical trial with a longterm extension. J Rheumatol. 2012 Mar;39(3):610-20.   


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